Vom Lesen zur Lesung – hilfreiche Handwerks-Tipps

Vom Lesen zur Lesung – hilfreiche Handwerks-Tipps

Egal, ob Rampensau oder komplett introvertiert – wenn du als Autor*in Erfolg und/oder Glück hast, hältst du irgendwann Lesungen.

Kein Ding, oder? Schließlich ist das deine Geschichte. Wer sollte die besser kennen als du? Und lesen kannst du ja sowieso.

Genau das hab ich auch mal gedacht. Ich war sogar ganz zuversichtlich, dass Lesungen vor Publikum mein kleinstes Problem als Autorin seien.

Bei meinen ersten Lesungen klang ich, im Rückblick, wie die Gewinnerin des Schullesewettbewerbs in der vierten Klasse. Das ist auch nicht überraschend. Schließlich lernen die meisten von uns das Vorlesen in der Schule, und dort sind die Erwartungen eher gering. Eigentlich geht es nur darum, die Wörter zu erkennen und einigermaßen sauber auszusprechen.

Für eine öffentliche Lesung reicht das allerdings nicht. Glaub mir, ich kenne den Unterschied.

Nun bin ich selbst ziemlich introvertiert. Theater zu spielen oder auch nur auf einer Party im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, ist mir ein Graus. Ich spotte gelegentlich, ich hätte die Bühnenpräsenz von nasser Küchenrolle. (Nicht gelogen!) Dennoch kriege ich heutzutage von Zuhörenden regelmäßig Lob für meine Lesungen.

Was ist also passiert?

Ich habe mir eine Sprechtrainerin gesucht.

„Ach, nur eine oder zwei Stunden, dann hast du die Basics drin!“, habe ich mir gedacht. Klassischer Fall von Selbstüberschätzung – der Unterricht in kleiner Gruppe läuft seit mehr als drei Jahren, und ich lerne immer noch dazu.

(Auch wenn du denkst, Sprechunterricht sei für dich überflüssig und/oder zu teuer – lies noch einen Moment weiter. Am Ende des Artikels gibt es einige günstigere Ressourcen, mit denen man schon viel erreichen kann.)

Der erste Punkt, an dem ich arbeiten musste, war etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Meine Aussprache. Offenbar hatte ich mir einige regionale Eigenheiten angewöhnt, zum Beispiel geschlossene Vokale (E statt Ä) und sehr kurze Silben. Auch der Buchstabe G erwies sich als überraschend komplex. Allein von meiner Aussprache her wusste meine Sprechtrainerin sofort, aus welcher Region meine Familie stammt – bis hin zum Landkreis, das hat mich beeindruckt.

Meine Atmung war auch nicht okay. Leute, die singen, nicken jetzt wahrscheinlich zustimmend. Von wegen, Atmen sei ein Reflex! Aber auch das habe ich in den Griff bekommen.

Nachdem wir in kleiner Gruppe über mehrere Sitzungen solche Kleinigkeiten korrigiert hatten, kamen wir zur eigentlichen Herausforderung: Gestaltendes Lesen!

Einige Vorlese-Ideen, die sich als falsch herausgestellt haben:

  • Bei einem Komma macht man eine Pause. Immer.
  • Am Ende einer Frage geht die Stimme nach oben.
  • Überhaupt sind Satzzeichen in Texten heilig und dürfen beim Vorlesen keinesfalls ignoriert werden.
  • Texte sollten vor allem sauber und gleichmäßig vorgetragen werden.

Inzwischen schaue ich beim Vorlesen auf andere Dinge: Wie nah bin ich dem Charakter oder der Erzählperson? Wie dramatisch ist die Stelle? Ist der Absatz eine objektive Beschreibung oder ein persönlicher Eindruck? Will ich jemanden beruhigen, überzeugen oder nervös machen? Und wie lang ist die Pause, die ich hier machen will?

Besonders schwer fallen mir immer noch Stellen mit Dialog – das ist für mich zu nah am Theaterspiel, so etwas liegt mir nicht. Unterschiedliche Figuren kriegen unterschiedliche Stimmfarbe und Aussprache, manchmal geht es emotional hoch her, die Sprecher wechseln schnell und fallen einander vielleicht sogar ins Wort. All das muss bei einer Lesung vor Publikum präsentiert werden, und zwar von einer einzigen Person. Es hilft, sich großzügig Markierungen zu setzen und gerade solche Stellen mehrmals zu üben, eventuell aufzunehmen und kritisch anzuhören.

Im Lauf einiger Workshops und Experimente habe ich noch etwas gelernt: Ich lese besser im Stehen als im Sitzen, und am liebsten ohne Tisch oder Pult. Wenn ich sitze, endet meine Wohlfühlzone nämlich an meinem Knie, oder alternativ an der Tisch- oder Pultkante. Stehe ich hingegen vor meinem Publikum, fühle ich mich zwar nackt – aber die Textpräsentation ist viel lebendiger! (Wie das für dich funktioniert, musst du ausprobieren. Ich kenne Autor*innen, die im Sitzen auf dem Sofa viel besser vortragen als stehend.)

Letzten Endes muss dein Lesungsstil zu deiner Person und deinen Texten passen. Aber du bist auch das Entertainment für dein Publikum. Die goldene Mitte zu finden, bei der am Ende der Veranstaltung alle zufrieden sind, ist ein Prozess.

Hier, wie versprochen, einige Ressourcen, mit denen ich gearbeitet habe: 

  • Literatur
    • Sprechtechnisches Übungsbuch (Vera Balser-Eberle). Ein dünnes Büchlein mit den gängigen Regeln der hochdeutschen Aussprache inklusive kurzer Übungen.
    • Der kleine Hey. Die Kunst des Sprechens (Julius Hey). Ein etwas dickeres Aussprachebuch, gilt als Standardwerk für Schauspieler*innen und Sprecher*innen.
    • Stimme küsst Leben (Susanne Koch). Weniger ein sprechtechnisches Werk und mehr ein Ratgeber dafür, wie man die eigene Stimme und einen schönen Klang findet. Enthält viele praktische Übungen.
  • YouTube
  • Workshops und Kurse
    • https://www.annette-wieners.de/training-textarbeit/ – Annette gibt großartige Workshops zum Thema Bühnenlesung und geht dabei toll auf ihre Schüler*innen ein. Man erfährt viel Praktisches von der Vorbereitung bis zum Umgang mit Störungen.
    • https://sprecher-akademie.com/ – die Sprecher-Akademie bietet Vor-Ort- und Online-Kurse an. Man kann dort die komplette Ausbildung absolvieren oder sich einzelne Module heraussuchen zu Themen, an denen man arbeiten will. Ich habe dort den Kurs VC02 belegt.

Ein genereller Tipp, wenn du nach Weiterbildungs-Möglichkeiten suchst: Achte darauf, wie die kursleitende Person klingt und ob du das, was die Person schon kann, auch lernen möchtest. Oft finde ich online z. B. Videokurse, höre kurz rein und schüttle mich, denn: Der Vortrag klingt genau wie das, was ich früher auch abgeliefert habe. 

Und jetzt nichts wie auf zum fröhlichen Vor-Lesen! Ich bin total gespannt auf deine zukünftigen großartigen Auftritte.

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