Sophie erzählt: Zwischen Menschenmengen und Bücherwundern
Ein Besuch auf der Frankfurter Buchmesse aus der Sicht einer neurodivergenten Person
Die Frankfurter Buchmesse – ein Tummelplatz für Buchliebhaber:innen, Autor:innen, Verlage und Lesende aus aller Welt. Für viele ist sie ein Paradies, zu dem jedes Jahr gepilgert wird und dessen Besuch man plant, sobald die Termine für das nächste Jahr feststehen, doch für mich als neurodivergente Person war dieser Besuch voller Herausforderungen, aber auch wundervoller Entdeckungen.

Vorfreude und Unsicherheit
Schon Wochen bevor wir losfuhren, spürte ich die Spannung in mir: Die Aussicht, Neuerscheinungen zu entdecken, Lesungen zu erleben und Gleichgesinnte zu treffen, ist aufregend. Gleichzeitig weiß ich, dass die Masse an Menschen, die vielen Eindrücke, Geräusche und Gerüche mich schnell überfordern können. Das ging so weit, dass mein Körper am Tag vor der Messe meinte, er müsse mir Ohrensausen und Schwindel bescheren. Nervosität lässt grüßen. Mein Gehirn verarbeitet Reize anders – alles prasselt ungehemmt auf mich ein. Und so war es dann auch: Anfangs ließ es sich noch gut aushalten, wir sind entspannt durch die ersten Hallen geschlendert, haben Eindrücke gesammelt und sind „angekommen“. Ticketkontrolle, Metalldetektor und Taschendurchsuchung – alles kein Problem.
Die Ankunft: Ein erster Reizsturm
Doch danach ging es los. Die erste Halle war voll. Die danach noch voller. Das frühere Konzept, Bücher verschiedener Genres in verschiedenen Hallen thematisch sortiert und gebündelt zu finden, das ich noch aus 2023 kannte, gab es scheinbar nicht mehr. Wie schön war das, in der Halle mit den Fachbüchern herumzustöbern, während alle anderen sich in einer anderen Halle um die neuesten Erscheinungen aus dem Bereich Fantasy prügelten und man halbwegs entspannt durch die Reihen der Verlage wandeln konnte? Heute braucht man einen Plan. Schön wäre gewesen, wenn man diesen entweder in Papierform beim Betreten des Messegeländes ausgehändigt bekommen hätte, oder, in Zeiten von Digitalisierung und Ressourcenschonung noch einfacher: Wenn er auf der Webseite der Messe einsehbar gewesen wäre. Dort findet man jedoch nur den Hinweis, das Programm sei noch in Arbeit – während die Messe in vollem Gange ist. Schon beim Betreten des Messegeländes strömten mir Stimmengewirr und der Duft von Kaffee entgegen. Ich atmete tief durch und beglückwünschte mich zu der Idee, vor unserem Aufbruch eine Beruhigungstablette genommen zu haben. So ließ sich der größte Andrang ein bisschen besser ertragen. Dennoch spürte ich, wie mein Herz schneller schlug, als ich mich dem Strom der Besucher:innen anschloss. Unser Plan: kurze Aufenthalte in den Hallen, viele Pausen an ruhigen Orten, und, falls möglich, nicht nach draußen gehen, denn dort ist es kalt und ungemütlich.

Zwischen Büchern und Barrieren
Die Vielfalt der Verlage, die liebevoll gestalteten Stände und die unzähligen Bücher waren beeindruckend. Doch die Enge in den Gängen, das ständige Ausweichen und die vielen Gespräche um mich herum forderten mich heraus. Ich merkte, wie mein Energielevel sank und mein Gehirn nach einer Pause verlangte. Zum Glück bietet die Messe Ruhezonen an. Doch auch hier gibt es Minuspunkte: Es gab einfach zu wenig Sitzmöglichkeiten. Teilweise sind wir an breiten Gängen oder gar ganzen Hallen vorbeigekommen, die durchaus Platz für Sitzgruppen und kleine Snackstände (aber bitte mit moderateren Preisen als 5 Euro für ein Glas Cola!) geboten hätten. Aber auch hier: Ab und zu ein paar lustlos verteilte Sitzhocker, das wars. Das beliebteste Sitzmöbel waren allem Anschein nach die Heizkörper in den Gängen zwischen den Hallen oder gleich der blanke Hallenboden an den Seiten.

Die Magie der Begegnungen
Trotz aller Herausforderungen ist die Buchmesse ein Ort magischer Momente. Ich treffe auf Autor:innen, deren Bücher ich mit nach Hause nehme, und auf andere Besucher:innen, die ähnliche Erfahrungen teilen, auf Cosplayer:innen, die sich freuen, wenn man ihnen ein Kompliment für ihr Cosplay macht. In stillen Ecken entstehen Gespräche, die mich inspirieren und bestätigen: Ich bin nicht allein mit meiner Wahrnehmung, meinen Bedürfnissen, meiner Begeisterung für Bücher. Das ist es auch, was mich dieses Jahr wieder an diesen Ort gezogen hat: Dazuzugehören. Einen Ort zu haben, an dem man sich zwanglos austauschen kann, an dem man mit wildfremden Menschen ein Gespräch anfängt und Gemeinsamkeiten entdeckt. Besonderer Dank geht hier an den Autoren John Wyttmark, der sich sehr viel Zeit für uns und unsere Fragen genommen und hinterher auch noch unsere Bücher signiert hat.
Ein Plädoyer für mehr Vielfalt
Mein Besuch auf der Frankfurter Buchmesse war ein Balanceakt zwischen Überforderung und Euphorie. Ich habe an diesen zwei Tagen gelernt, auf meinen Körper zu hören und früher abzuschätzen, wann meine Energie erschöpft und mein mentaler Akku entladen ist. So wurden es zwar keine zwei sehr langen Tage auf der Messe (wir waren samstags und sonntags nur jeweils ein paar Stunden dort), aber ich finde, so waren die Eindrücke intensiver. Mit etwas mehr Vorbereitung, einem konkreten Plan, was und wen man sich alles anschauen will, Selbstfürsorge und Verständnis von außen wird auch für neurodivergente Menschen ein Raum geschaffen, in dem Literatur in all ihrer Vielfalt gefeiert werden kann. Denn Bücher sind für alle da.
